Description
Gerit von Leitner
Bis die Araber klein begeben
Europas vergessener Krieg im Maghreb
Literarische Reportage
Nasser Zafzafi, Anführer der Protestbewegung Hirak im marokkanischen Rif-Gebirge, die gegen Korruption, Unterdrückung und Machtmissbrauch kämpft, wurde 2018 für den Sacharow-Preis für geistige Freiheit – den Menschenrechtspreis des Europäischen Parlaments – nominiert. Ein seit 100 Jahren verdrängtes Thema – die Folgen von Terror und Gaskrieg der europäischen Großmächte in Nordafrika – kehrte an seinen Ursprung zurück. Denn der 1. Weltkrieg war kaum beendet, da raufte sich Europa zu einem Kolonialkrieg im rohstoffreichen Maghreb zusammen.
Einzig Mohammed Abd al-Karim (1882-1963), Anführer der als primitiv geltenden Rifkabylen, wagte den Aufstand für die Freiheit seines Volkes. Er rief 1921 im zwischen Frankreich und Spanien aufgeteilten “Protektorat” eine unabhängige Republik aus. Seine Guerillataktiken waren Vorbild für Che Guevara, Mao Zedong und Ho Chi Minh. Mithilfe von zehntausenden Gasbomben aus deutscher Produktion schlugen Frankreich und Spanien den Aufstand nieder. Der Rif-Krieg dauerte sechs Jahre, seine Folgen wirken bis heute.
Gerit von Leitner trägt vergessene Fakten aus Militärarchiven zusammen und webt Geschichte aus der Erzählung von Zeitzeugen – Überlebenden der Kolonialkriege und ihrer Nachfahren – zu einer eindrucksvollen Bild-Text-Collage über ein unbekanntes Marokko.
„Die Rebellenorte werden solange mit Gasbomben belegt, bis die Araber klein beigeben. Diese Strategie dürfte sicher Erfolg haben, wenn die öffentliche Weltmeinung sich gegen das furchtbare Vernichtungswerk nicht auflehnen wird.“
Der deutsche Konsul in Tetuán, 1923
„Ich gehöre zu einem Gebiet namens Rif, das sich im Norden Marokkos befindet. Das Rif hat gelitten, leidet und wird unter der permanenten Marginalisierung leiden, in die es absichtlich gezwungen wird: Armut, Arbeitslosigkeit, Analphabetismus und andere negative Folgen. Wenn ein Einwohner dieses Gebiets dagegen protestiert, greift der Staat durch seine Armee, die Gendarmerie, die Hilfstruppen und die Polizei auf barbarische Weise ein.“
Aus dem Brief von Nasser Zafzafi aus dem Gefängnis in Casablanca an das Europaparlament in Straßburg anlässlich seiner Nominierung zum Sacharowpreis für geistige Freiheit 2018
„Die aufbrechenden Erinnerungen, mit denen ich mich auf meinen Marokkoreisen vehement konfrontiert gesehen habe, wurden ein Jahrhundert unterdrückt und verschwiegen oder zugunsten des marokkanischen Königshauses umgebogen. Kann das sein? Die Barbarei des islamistischen Terrors – gewiss nicht nur, aber auch – ein zeitverschobenes Echo auf die Verseuchung des arabischen Raums im Namen westlicher Zivilisation?“
Gerit von Leitner, 2019